(von Dieter Topp) Was ist schon normal, scheinbar alles oder nichts in dem gut zehn Jahre jungen Musical „Next to Normal“, einem Außenseiter, der die Karten des Genres neu aufmischt …
„Next to Normal“, heißt der Außenseiter, der die Karten des Genres Musicals neu aufmischt, der in Österreich und Deutschland sehr gut angekam und immer mal wieder auf den Spielplänen auftaucht.-
Im Osten Europas, in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, wo noch „Glammusicals“ die Hallen füllen, hat sich das junge Schauspieler/Sänger-Duo Victor Bucur und Daniel Burcea des psychisch durchwobenen Stücks von Brian Yorkey (Buch und Liedtexte) und den Kompositionen von Tom Kitt um eine bipolar erkrankte Mutter und ihren Einfluss auf die gesamte Familie angenommen.
New York war zutiefst gerührt, in Deutschland gab’s Applaus ohne Ende und jetzt hat sich die Opereta National, Bukarest, an das heikle Thema gewagt.
Rockige, soulige Songs und geschickte Choruspassagen bis zu Herz zerreißenden Balladen dringen in rumänischer Sprache besonders tief in die Emotionsebene der Zuschauer, ohne stetig melodramatisch sein zu wollen. Die scheinbar normale Familie wird ordentlich durchgeschüttelt und hält die Zuschauer in Atem.
Als wichtiges Stück des 21. Jahrhunderts wurde „Next to Normal“ nach einigen Anlaufschwierigkeiten in den USA seit 2009 frenetisch umjubelt und 2010 mit dem renommierten Purlitzer-Preis für Drama geadelt, eine Sensation für das Genre Musical. Es will kein Schauspiel sein und zeichnet sich dadurch aus, dass es alle Voraussetzungen für ein Musical erfüllt, fast gänzlich durchkomponiert ist, zudem rasant, mit manch harten Schnitten und ungewohnt wohltuend ohne ständige Ovationen nach jeder Gesangsnummer. Hinzu kommt die intensive Auseinandersetzung mit einer psychischen Krankheit, dramaturgisch von Victor Bucur reif für unsere Zeit gemacht.
Handlung und Handelnde in Bukarest
Anca Florescu, eine bekannte Darstellerin der großen Theater des Landes, spielt und singt die Rolle der Mutter Diana Goodman, die von absoluten Könnern gefasst werden muss. In Deutschland von Musicalstars wie Pia Douwes und Maja Hakvoord interpretiert, steht Anka Florescu den Beiden in nichts nach, singt und spielt in tiefer melancholischer Überzeugung ihre Depression bis ins letzte aus. Denn Sohn Gabe, Lucian Ionescu, starb den Kindsstod, ein Geheimnis, was er im Laufe der Vorstellung gekonnt lüftet. Er hilft der Mutter mit den Seelenschmerzen umzugehen.
Musicalstar Adrian Nour (Phantom der Oper, Romeo und Julia) offenbart in der Rolle des Vaters Dan Goodman was er kann, überzeugt glaubwürdig und tief auf dem Weg zwischen dem Bekümmern um die kranke Ehefrau und der Suche nach einem eigenen Glück in wahrscheinlich einer seiner besten Rollen.
Die benachteiligte Tochter Natalie (Sidonia Doica) sucht im Drogenrausch ihre Betäubung, findet Halt im pragmatischen Freund Henry (Andrei Miercure, der bereits im Musical „Guten Abend, Mr. Wilde“ auf der Bühne des jüdischen Theaters in Bukarest gefeiert wurde), auch wenn der das Leben für eine Katastrophe hält. Ihr Kuss versöhnt nicht nur die Beiden, er erobert restlos das Publikum.
„Normale“ Schocktherapie als Erinnerungsbewältigung empfehlen die Ärzte. Hier macht die wandlungsfähige Stimme des rumänischen Opernsänger Catalin Petrescu die Diversität der Rolle des Dr. Maden zu einem Klangerlebnis.
Sichtbar platzierte der Bühnenbildner Cristian Marin die Band gleichberechtigt neben den Schauplatz des Geschehens, denn diese erst – unter dem mehrfach ausgezeichneten Pianisten Alexandru Mihai Burca – gibt dem Ganzen die vibrierende Live- Atmosphäre.
Am 3. Juli legt sich der Nebel der psychotischen Normalität ein weiteres Mal vor der Sommerpause über die Opereta National. In der kommenden Saison soll es dann die Wiederaufnahme geben.
Text: Dieter Topp
(Foto: Maria Stefanescu) Familie Goodman in nur scheinbarer Harmonie (Adrian Nour, Anca Florescu, Sidonia Doica, Lucian Ionescu, Andrei Miercure, v.l.n.r.) schütteln das Publikum durch.
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