Arbeitsschutz unter Wasser durch innovative Sensorik
Ein neues Forschungsprojekt entwickelt ein Arbeitsschutzsystem für Bergungstaucher alter Kriegsmunition. Schadstoffsensoren ermitteln die akute Belastung durch TNT & Co. und ein Alarmsystem zeigt Tauchern die Gefahrenquelle über ein Augmented Reality-Display direkt in der Taucherbrille in Echtzeit an.
Unmengen an Munitionsaltlasten aus den beiden Weltkriegen, davon 220.000 Tonnen chemische Kampfmittel – so aktuelle Schätzungen – liegen am Grund der deutschen Nord- und Ostsee. Die Bergung ist nicht nur aufwendig und dadurch teuer, sondern auch gefährlich. Die vorwiegend aus Metall bestehenden Hüllen sind über die Jahrzehnte im Salzwasser immer mehr korrodiert. Dadurch dringen gefährliche Substanzen zunehmend ungehindert in die Wassersäule und den Meeresboden. Eine Gefahr nicht nur für die Umwelt, sondern im besonderen Maße für die professionellen Taucher, die – ungeachtet des technischen Fortschritts und steigenden Einsatzes von Unterwasserfahrzeugen – immer noch eine tragende Rolle bei der Bergung spielen.
Arbeitsschutz unter Wasser durch innovative Sensorik
Vor diesem Hintergrund hat ein Verbund aus norddeutschen Firmen und Forschungseinrichtungen das Projekt TOxAR gestartet. Ziel ist die Entwicklung eines kompletten Arbeitsschutzsystems für Unterwasserarbeiten. Grundlage bildet eine Reihe neuer Sensoren, die sowohl die ans Wasser abgegebenen Bestandteile konventioneller Kampfstoffe, vorranging TNT, als auch chemische Stoffe wie Senfgas oder Abbauprodukte von Arsen messen. Diese können bei Kontakt Verätzungen auf der Haut verursachen und stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Die Gefahr für Taucher und Tauchcrew, die direkt mit der Quelle dieser Stoffe hantieren oder mit kontaminiertem Tauchequipment, ist um ein Vielfaches höher.
Messen und kommunizieren in Echtzeit
In Zukunft könnten Taucher vor einer Bergung von Altmunition das Gebiet mit Sensorlanzen abstecken und damit auch die technische Grundlage für den entscheidenden Bestandteil des Arbeitsschutzsystems legen: die Echtzeit-Kommunikation. Die sofortige Übermittlung der Messergebnisse stellt unter Wasser eine ungleich größere Herausforderung dar als an Land. Die Lanzen sind deshalb sowohl Träger der Sensoren für arsenhaltige Kampfstoffe und chemische Belastungen des Sediments als auch Navigations- und Kommunikationsknotenpunkt. Die Position des Tauchers unter Wasser wird bestimmt, eine austretende Schadstofffahne analysiert und eine mögliche Gefährdung sofort erkannt. Eine kabelfreie, digital akustische Kommunikation soll dabei nicht nur zwischen Lanzen und Tauchern aufgebaut werden, sondern auch mit dem Schiff bzw. der Tauchzentrale. Dass diese zu jeder Zeit stabil funktioniert, ist sowohl für die Gefahrenbewertung als auch bei schlechten Sichtverhältnissen essenziell.
AR in der Taucherbrille
Das sog. „Kakaowasser“, welches bei der Untersuchung von Objekten durch Sedimentaufwirbelungen entsteht, ist für Taucher immer eine Herausforderung. Bei der Bergung von Kampfstoffen werden Sichtweiten von wenigen Zentimetern schnell zur Bedrohung. Deshalb entwickelt das Fraunhofer IGD im Rahmen des Projekts TOxAR ein Augmented Reality System für die Taucherbrille. Die über das Sensornetz ermittelte Schadstoffbelastung in Wasser und Sediment wird Tauchern mit einer genauen Verortung direkt in der Brille oder alternativ auf einem Display am Handgelenk angezeigt. Damit ist ein Rückzug bei entstehender Gefahr durch Schadstoffe viel schneller als bisher möglich und Maßnahmen zur Gefahreneindämmung können sofort eingeleitet werden. Zusätzlich können den Tauchern auch weitere relevante Informationen für den Tauchgang wie Heading, Kartenmaterial oder Position angezeigt werden. Bei der Entwicklung des Displays wird besonders darauf geachtet, den Taucher nicht zu irritieren oder das Sichtfeld unnötig einzuschränken.
Das Projektteam unter der Leitung der MacArtney Germany GmbH aus Kiel wird die Entwicklungen soweit vorantreiben, dass ein Demonstrator ersten Praxistest unterzogen werden kann. Neben dem Kieler Standort des Fraunhofer IGD sind die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die EvoLogics GmbH aus Berlin sowie die Miprolab Mikrobiologische Diagnostik GmbH und das Institut für Nanophotonik IFNANO e.V. aus Göttingen an der Entwicklung beteiligt. Unterstützt werden sie von den assoziierten Partnern Baltic Taucherei- und Bergungsbetrieb Rostock GmbH, HCG Hazard Control GmbH und Nationales Informationszentrum Chemische Kampfmittel e.V.
Das Projekt TOxAR hat eine Gesamtlaufzeit von 2,5 Jahren und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.
Weiterführende Informationen: https://www.igd.fraunhofer.de/projekte/toxar-toxic-alarm-ar-assistance-under-water
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Das 1987 gegründete Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD ist die international führende Einrichtung für angewandte Forschung im Visual Computing, der bild- und modellbasierten Informatik. Wir verwandeln Informationen in Bilder und Bilder in Informationen. Stichworte sind Mensch-Maschine-Interaktion, Virtual und Augmented Reality, künstliche Intelligenz, interaktive Simulation, Modellbildung sowie 3D-Druck und 3D-Scanning. Rund 180 Forscherinnen und Forscher entwickeln an den drei Standorten Darmstadt, Rostock und Kiel neue technologische Anwendungslösungen und Prototypen für die Industrie 4.0, das digitale Gesundheitswesen und die „Smart City“. Durch die Zusammenarbeit mit den Schwester-Instituten in Graz und Singapur entfalten diese auch internationale Relevanz. Mit einem jährlichen Forschungsvolumen von 21 Mio. Euro unterstützen wir durch angewandte Forschung die strategische Entwicklung von Industrie und Wirtschaft.
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